Kollateralschaden

Nach einer Blitzumfrage des ARD-Deutschlandtrends sei die große Mehrheit der Bundesbürger mit dem Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung einverstanden (Quelle: NDR 3). Und in den Medien werden Merkel, Spahn und Co. über den grünen Klee gelobt.

Der kritische Geist reibt sich verwundert die Augen. Kein Wort darüber, dasss die selben Akteuere seit Jahrzenten das deutsche Gesundheitssytem durch die Pervertierung des Renditegedankens an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben. Und das schon VOR der Corona-Krise.

Dazu einige Innenansichten aus dem Gesundheitsssystem von Beate Jenkner, Vorsitzende von Aufstehen Bayern e.V.

Seit Jahren sorgen die Einsparungen im Gesundheitswesen dafür, dass Patient*innen in überfüllten Arztpraxen stundenlang warten müssen, Krankenwägen mit Notfallpatient*innen durch die Stadt irren, um ein freies Bett auf der Intensivstation zu bekommen und alte Menschen in Pflegeheimen dahinvegetieren. Stellenkürzungen und Arbeitszeitverdichtung sorgen für eine Überlastung der Pflegekräfte, viele sind am Rand ihres Leistungsvermögens, körperlich und psychisch. Letztes Jahr fehlten über 10.000 Pflegestellen, dieses Jahr sieht nicht besser aus. Allein in Bayern fehlen nach wie vor an die 5.000 Pflegekräfte. Vorsichtig geschätzt.

Kurzer Rückblick

Seit Mitte der 80er Jahre wird das Gesundheitswesen privatisiert. Krankenhäuser und Pflegeheime unterliegen dem Wettbewerb und müssen Profite abwerfen. Durch die Einführung des DRG (diagnosebezogene Fallgruppen, Fallpauschalen-System) musste für den Profit die Liegezeit in den Krankenhäusern verkürzt werden. Personalabbau und schlechtere Bezahlung waren ebenfalls Folge der Profitmaximierung. Der Begriff „blutige Entlassung“ wurde traurige Realität.

Und während die Beschäftigten im Gesundheitswesen kaum noch ihr Arbeitspensum schaffen und für mehr Personal und angemessenen Lohn kämpfen, rollt eine Katastrophe auf sie zu, die nicht mehr zu schaffen ist: Der Corona-Virus. Es fehlt an Betten, an Beatmungsgeräten, an Desinfektionsmittel, an Masken, an Schutzanzügen, kurz: es fehlt an allem, was nötig wäre, um die Anzahl der Menschen versorgen zu können, die die nächste Zeit medizinische Behandlung benötigen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fast absurd, dass Frau Merkel und Herr Spahn immer wieder betonen, wie gut unser Gesundheitssystem funktioniert und dass sie alles im Griff haben.

Das Gegenteil ist der Fall.

Die Ausrüstung für Ärzte und Krankenhäuser wurde zu spät bestellt. Es wurde versäumt, rechtzeitig Vorräte für den Ernstfall anzulegen. Aber selbst die beste Ausrüstung kann nicht das fehlende Personal ersetzen, das die Geräte bedienen und die Patienten versorgen soll.

Das dämmert mittlerweile auch unserem Gesundheitsminister. So verwundert es nicht, dass jeder, der einmal im Gesundheitswesen beschäftigt war und aus gesundheitlichen Gründen oder Resignation aufgegeben hat, wieder aktiviert werden soll. Die ersten „Einberufungsschreiben“ sind schon bei ehemaligen Krankenschwestern eingegangen. Weitere werden folgen.

Verlagerung der Corona-Krise in den Pflegesektor

Die Pflegeheime nehmen keine pflegebedürftigen Patienten mehr auf. Das hat zwei Gründe. Zum einen aus Angst vor dem Virus, vor dem man die Bewohner natürlich schützen muss, zum zweiten, weil mit steigender Zahl der Corona-Patienten für die normalen Krankenhauspatienten kein Bett mehr frei sein wird. Die Überlegung ist daher, Patienten nach dringend notwendigen Operationen auf die freien Betten in den Pflegeheimen zu verteilen, damit sie dort weiterbehandelt werden können.

Ältere Patienten, die nach einem Sturz oder schwerer Krankheit vom Krankenhaus in ein Pflegeheim wechseln müssten, finden bereits jetzt keinen Platz mehr und sitzen dort fest. Operationen, die nicht zwingend notwendig sind, werden ebenfalls schon verschoben, um Betten frei zu halten.

Je höher die Zahl der Corona-Patienten steigt, umso schwieriger wird es für alle anderen Patienten, einen Platz im Krankenhaus zu bekommen. Dies wird für Notfälle ebenso problematisch werden wie für Unfallopfer oder Krebspatienten. Bei der zu erwartenden Anzahl der Infizierten in den nächsten Wochen wird eine Versorgung dieser Patientengruppen schwierig bis unmöglich werden.

Es wird nicht nur an Betten oder freien Ärzten für eine nötige Operation oder Behandlung fehlen. Es wird nicht nur länger dauern, bis der Rettungswagen kommt und dann nach einem freien Platz suchen muss. Es wird, das kann man an den Erfahrungen in Italien und Spanien sehen, jedes Mal die Frage sein, ob die Gefahr einer Infektion in der Klinik besteht und der Patient dies vielleicht nicht überlebt.
Diese Frage stellt sich bereits jetzt bei der Behandlung von Krebspatienten. Diese Frage wird sich für Notfälle wie Schlaganfallpatienten oder Herzinfarktpatienten stellen.

Wie viele Menschen in Italien oder Spanien nicht gerettet werden konnten, weil das Gesundheitssystem kollabiert, traut sich keiner zu zählen. Wie viele es in Deutschland treffen wird weiß niemand. Sicher ist nur, dass alle Beschäftigten im Gesundheitswesen jede Unterstützung brauchen werden, die sie kriegen können.